Die Natur, dargestellt als weibliche Personifikation, arbeitet mit hohem Eifer in der Schmiede. Wieder und wieder schwingt sie den Hammer, formt auf ihrem Amboss Tiere und Menschen. Ihr handwerkliches Können kennzeichnet sie als Künstlerin, doch zugleich steht sie als Schöpferin im Dienst Gottes. Die Buchmalereien befinden sich in einer frühneuzeitlichen Handschrift des Roman de la Rose und beziehen sich damit auf einen Text, der im 13. Jahrhundert entstand und das Verhältnis von Natur und Kunst im Mittelalter thematisiert.
Ihr Werkzeug? Der Hammer.
Ihre Aufgabe? Die Schaffung neuen Lebens.
Entscheidende Erwähnung findet Natura in der zweiten Romanhälfte. Sie klagt darüber, dass der Mensch die Aufgabe der Fortpflanzung nicht mehr genügend erfülle. Daraufhin erlegt ihr Priester Genius als Buße auf, ihre bisherige Arbeit in der Schmiede auf unbestimmte Dauer fortzusetzen. Im Bild werden zwei unterschiedliche Schaffensprozesse präsentiert: Die Malerei auf fol. 156r visualisiert die Erschaffung des Menschen. Bereits fünf fertige kleine Menschen liegen auf dem Boden und die unermüdliche Natura schmiedet gerade einen weiteren. Fol. 187r zeigt Natura hingegen bei der Erschaffung der Tiere, hier fertigt sie ein Lamm. Sieben weitere Tiere sind bereits vollendet. Die Personifikation fasst jeweils mit einer Hand das Lebewesen am Fuß, mit der anderen Hand hält sie den Hammer zum Schlag bereit. Als Symbol enormer Kraft verdeutlicht der Hammer die bedeutende Rolle der Natura: In ihren Händen liegt das Potenzial, neues Leben zu kreieren. Mensch und Tier werden mit einer anderen Hand gestaltet, so wird die Herstellungsart deutlich voneinander abgegrenzt. Fortlaufend und gleich einer Serienfertigung erschafft Natura beharrlich ein Lebewesen nach dem anderen. Dass sie sich dabei eines Handwerks bedient, ist auch als eine Aufwertung der Künste zu verstehen, denen so schöpferische Kraft zugesprochen wird.