Personifikationen

Gottlieben und Pfallez

Städte und Länder

Haspel: Klagelied
Strophe 1

Ich, Haspel, muss erst fahen an
tichten, das ich zwar nie began:
einr nacht da für ich an den Rhin
do hört ich klägliche not,
Gotlieben klagen, si wer tod.
do müßt ich lon min kropfen sin,
ich loßt ir zů, ich an si gafft,
ze iüngst schrei sie mit luter kraft:
“owe mir und minr brůderschaft!

Übersetzung
Strophe 1

Ich Haspel muss jetzt zu dichten anfangen,
was ich wahrlich nie gemacht habe:
Eines Nachts fuhr ich an den Rhein,
da hörte ich in kläglicher Not
Gottlieben klagen, sie sei tot.
Da musste ich das Klopfen sein lassen,
ich hörte ihr zu, ich schaute sie an.
Schließlich schrie sie mit lauter Kraft:
„Oh, weh mir und meiner Bruderschaft!

Haspel: Klagelied
Strophe 2

Ich, Gotlieben, mag weinen wol.
etwan min kist und kast was voll,
ietz ston ich nůn alleine.
etwan hies ich Gotlieben rich
und lebt mit fröuden auch herrlich,
nun heiss ich Hungersteine!
des můss ich schreien jamer, schand
uf die, die mich beraubet hand,
si sien hie ald dort zu land."

Übersetzung
Strophe 2

Ich, Gottlieben, kann wohl weinen.
Einst waren meine Kisten und Kasten voll,
jetzt stehe ich alleine.
Einst hieß ich reiches Gottlieben
und lebte herrlich in Freuden,
nun heiß ich Hungerstein!
Deshalb muss ich Jammer schreien,
Schande über die, die mich beraubt haben,
sie sind hier wie auch dort zu Land."

Haspel: Klagelied
Strophe 3

Die pfallez jamerlichen schreigt:
“dann miner recht bin ich entfreigt,
dez sind nun us min ehren.
etwan das bistum dienet mir
gewaltigklich nach miner bgir,
das hat sich nun verkerert. […]“

Übersetzung
Strophe 3

Die Pfalz schrie jämmerlich:
„Da ich all meiner Rechte nun befreit worden bin,
ist mein Ansehen vorbei.
Ehemals diente das Bistum mir
auf mächtige Weise nach meinem Begehren,
dies hat sich nun verkehrt. […]“

Verzweifelte Städte klagen

Nächtliches Wehklagen am Rhein: Die Stadt Gottlieben ist erschüttert und klagt einer Figur namens Haspel das ihr widerfahrene Leid.

Es gehe ihr besonders schlecht, da sie in Folge eines Konflikts mit Bischof Johann von Markdorf kürzlich in Brand geraten war. Das, was Gottlieben ehemals an Besitz hatte, ist verloren, weshalb sich die personifizierte Stadt nun selbst Hungerstein nennt. Auch die Pfalz beschwert sich bei Haspel über die rechtlichen Veränderungen seit dem Regierungswechsel im Bistum. Früher habe man sich um ihr Wohlergehen gekümmert, aber nun seien ihr die ehemaligen Rechte aberkannt worden.

Inhalt

Der Dichter des Klagelieds tritt als Fischer auf und spricht mit verschiedenen Ortschaften rund um den Bodensee über die schwerwiegenden Folgen der Amtseinsetzung Heinrichs III. von Brandis als Bischof. Insgesamt beklagen sich mehr als zwanzig personifizierte Städte in rund zehn Strophen. Dabei schildern sie teilweise eine Krankheit, an der sie qualvoll zugrunde gehen (Castel), oder hinterfragen, wie es mit ihnen weitergehen soll (Radarach, Bomgarten). Das Lied endet mit dem Vermerk, dass der Text aus einem uralten Buch (uralten büch) abgeschrieben sei.

Und sonst?

Im Klosterarchiv Einsiedeln finden sich historische Quellen über die Auseinandersetzung. Dort wird Brandis als schwache Führungskraft beschrieben, der seinen Verwandten Einfluss in die Regierungsgeschäfte gewährt habe.

A. Hänle

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