Einprägende BilderMünzen als Massenmedium

Wer weiß heutzutage eigentlich noch, was auf unseren Münzen abgebildet ist? Blickt man auf die aktuelle deutsche Euromünze, sieht man zwei zentrale identitätsstiftende Merkmale: die Darstellung Europas auf der Vorderseite, die allen Euromünzen gleichermaßen eigen ist, und den Bundesadler, das Hoheitszeichen Deutschlands, auf der Rückseite.

Heute sind Münzen nur ein Massenmedium unter vielen – in der Antike waren sie das Massenmedium schlechthin. Dabei können wir eine extreme Vielfalt beobachten: Allein aus den ersten drei Jahrhunderten nach Christus, der Zeit des römischen Prinzipats, sind uns nahezu 30.000 unterschiedliche Typen von Münzen bekannt. Die Veränderungen im Bilderkanon sowie der einzelnen Darstellungsmerkmale zeigen das Bestreben der römischen Herrscher, mit der Anpassung von Münzbildern auf veränderte sozio-kulturelle Phänomene zu reagieren. Doch im Zuge welcher Ereignisse und wie genau veränderte sich die Ausgestaltung der Münzen und zeigt sich darin eine ,andere‘ Ästhetik?

Euromünze der Bundesrepublik Deutschland

Avers: Nennwert sowie Karte der europäischen Union, Revers: Bundesadler über Emissionsjahr 2002

Public Domain. Euromünze der Bundesrepublik Deutschland, Schön 212, Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Interaktiver Katalog des Münzkabinetts 18203831.

Antike Münzen aus dem römischen Reich

Aureus des Postumus, Tetradrachme von Aurelian, Antoninian von Vaballathus, Antoninian des Tetricus I, Antoninian des Aurelian, Aureus des Aurelian
(jeweils Avers und Revers)

siehe Einzelnachweise

Kommunikationsmittel in Krisenzeiten

Welche Botschaften auf Münzen vermittelt werden, zeigt sich besonders gut in Krisenzeiten. In Perioden unsteter und unsicherer Herrschaft besteht ein großer Bedarf der Herrscher nach Legitimation und Anerkennung.

Als ein Beispiel lässt sich die Krise des römischen Reichs im 3. Jahrhundert heranziehen. Grenzkonflikte im Norden und Osten des Imperiums führen zur Abspaltung einzelner Reichsteile: Es entstehen das Gallische und das Palmyrenische Sonderreich.

Das römische Imperium um das Jahr 260 n. Chr.

Eine Wiedereingliederung gelingt erst Kaiser Aurelian in den Jahren 272 und 274 n. Chr. Charakteristika dieser Krise des römischen Reichs sind extrem schnelle Herrscherwechsel – allein das Jahr 238 n. Chr. verzeichnet sechs verschiedene römische Kaiser – und die Erhebung zahlreicher Herausforderer im Ringen um die Regentschaft des Imperium Romanum. Die neuen Herrscher kommen nicht aus alteingesessenen Dynastien, sondern sind fast immer militärische Führungskräfte niederen sozialen Ranges und müssen daher ihren Herrschaftsanspruch besonders behaupten, auch und gerade mit Mitteln der Repräsentation. Die unsichere Herrschaft erfordert dabei spezifische Darstellungsmodi. Welche Merkmale dieser Krise lassen sich auf den Münzen dieser Zeit ablesen?

Kopf an Kopf: Konkurrenz um die Macht

Postumus und das Gallische Sonderreich

Blicken wir auf diese Münze aus der Zeit um 260 n. Chr.: Die Vorderseite zeigt Postumus, den Gründer und ersten Kaiser des sogenannten Gallischen Sonderreiches. Sofort sticht ins Auge, dass auf dieser Münze vier Büsten und nicht wie üblich nur das Porträt des Kaisers selbst zu sehen ist.

Aureus des Postumus, Avers

Postumus neben Hercules

Public Domain. Aureus des Postumus (260–269 n. Chr.), Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Interaktiver Katalog des Münzkabinetts 18241986.

Aureus des Postumus, Revers

Gestaffelte Büsten von Diana und Apollon

Public Domain. Aureus des Postumus (260–269 n. Chr.), Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Interaktiver Katalog des Münzkabinetts 18241986.

Postumus zur Seite steht der göttliche Herkules – ein Rückgriff auf eine traditionelle Darstellungsform von Herrschaft, wie sie zum Beispiel zuvor bereits unter dem Kaiser Commodus zu finden ist. Postumus umgibt sich jedoch nicht nur mit seinem Hauptpatron Herkules, sondern mit weiteren Göttern aus dem Pantheon der Römer: Diana und Apollon. Im Darstellungsmodus hintereinander gestaffelter Büsten können besonders viele Götter in einem spezifischen Näheverhältnis zueinander und zu Postumus gezeigt werden. Die sogenannte Reverslegende, der Schriftzug auf der Rückseite der Münze, CONSERVATORES AVG(usti) = die Beschützer des Kaisers, unterstreicht die Funktion der Götter Diana und Apollon. Postumus’ Darstellung selbst erinnert mit dem langen Bart an den erfolgreichen Kaiser Septimius Severus und stellt damit einen Bezug zur letzten bedeutenden Dynastie her.???

Wie die Münze des Postumus eindrücklich zeigt, manifestiert sich der Herrschaftsanspruch der gallischen Herausforderer auch in neuen Münzbildern. Deutlich unterscheiden sich ihre Prägungen durch besondere Ikonographien (spezielle Porträt- und Bartformen, Wahl der göttlichen Begleiter) von der Münzprägung der römischen Kaiser. Möglicherweise lässt sich hierin ein Machtanspruch der Gallischen Kaiser über alle Römer und damit über ihr eigentliches Herrschaftsgebiet hinaus erahnen. Denkbar ist hingegen auch, dass durch diesen eigentlich spezifisch dynastischen Darstellungsmodus fehlende Familienmitglieder beziehungsweise eine bedeutende Abstammung kompensiert wird. Deutlich zeigt sich in jedem Fall eine eigene Ästhetik der Herausforderer im Gallischen Sonderreich.

Vaballathus und das Palmyrenische Sonderreich

Neben dem Konflikt an der nördlichen Grenze des römischen Imperiums führen auch die Kämpfe mit den Persern im Osten zu einer Reichskrise: Die Gefangennahme des Kaisers Valerian löst zahlreiche lokale Erhebungen von Herausforderern aus, die nun selbst die Verteidigung gegen die Perser in die Hand nehmen. So kommt es zur Abspaltung des sogenannten Palmyrenischen Sonderreichs: Der Statthalter Odaenathus sichert das Gebiet mit der bedeutenden Stadt Antiochia gegen die Feinde des römischen Reiches und übernimmt damit die Funktion des römischen Kaisers in Palmyra. Gallienus, der Sohn und Mitregent Valerians, verleiht ihm das imperium maius und erkennt damit faktisch die militärische Machtposition des Konkurrenten in diesem Gebiet an. Während Odaenathus noch keine Münzen mit dem eigenen Bildnis prägt und mit dem Emittieren der Münzen mit dem Porträt des Gallienus den Hoheitsanspruch des römischen Kaisers anerkennt, beginnen unter seinem Sohn Vaballathus die Aushandlungsprozesse um die Macht auf Münzen: Nachdem die Palmyrener ihren Machtbereich mit der Eroberung Ägyptens deutlich ausdehnen konnten, zeigen die Münzen nun zwei Herrscher.

Tetradrachme von Aurelian, Avers

Aurelian

Tetradrachme von Aurelian (270–271 n. Chr.), Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Interaktiver Katalog des Münzkabinetts 18252825.

Tetradrachme von Aurelian, Revers

Vaballathus, Herrscher des Palmyrenischen Sonderreiches

Tetradrachme von Aurelian (270–271 n. Chr.), Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Interaktiver Katalog des Münzkabinetts 18252825.

Diese Tetradrachme aus Alexandria zeigt auf der einen Seite den zentralrömischen Kaiser Aurelian mit einem Lorbeerkranz. Die griechische Legende lautet AVT K Λ Δ AVPHΛIANOC CEB (= Autokrator Kaiser Lucius Domitius Aurelianus Sebastos), wobei der Titel Autokrator dem lateinischen Imperator und Sebastos dem Augustus-Titel entspricht. Das Jahreszeichen L und das Zahlzeichen A für das erste Regierungsjahr befinden sich rechts und links neben der Büste des Kaisers. Auf der anderen Seite der Münze ist Vaballathus, der zweite Herrscher der palmyrenischen Sonderreiches, abgebildet. Zusätzlich zum Lorbeerkranz trägt dieser einen weiteren Kopfschmuck: das Diadem als Zeichen der Königswürde. Auch neben seiner Büste weisen die Zahlzeichen L und Δ auf sein viertes Regierungsjahr und damit auf seinen eigenen Herrschaftsanspruch hin. Während in der griechischen Legende – I A C OVABAΛΛΑΘΟC AΘΗΝΟ V A [C PW] = I(ούλιος) A(ύρηλιος) C(επτίμιος) OVABAΛΛΑΘΟC AΘΗΝΟ(δωρος) V(πατικος) A(υτοκράτωρ) [C(τρατηγος) – die ersten sechs Legendenbestandteile (Lucius Iulius Aurelius Septimius Vabal(l)athus Athenodorus) alle den Namen des palmyrenischen Herrschers beschreiben, wird vermutet, dass die letzten vier Wörter der Reverslegende dem römischen Titel eines Konsuls entsprechen.

Die Münzrückseite ist normalerweise der Beschreibung der Tugenden des auf der Vorderseite abgebildeten Kaisers in Schrift und Bild gewidmet. Wenn überhaupt andere Personen auf diese Weise auf der Rückseite gezeigt werden, sind das Mitglieder der kaiserlichen Familie, um den eigenen Herrschaftsanspruch durch den dynastischen Verweis noch stärker zu legitimieren. Dass der Regent eines Randbereiches des Imperiums sich in gleicher Weise wie der Kaiser von der Büstenform über die Herrschaftsattribute bis hin zur Nennung des vollen Namens und Titels mit auf die offiziellen Zahlungsmittel stellen lässt, ist bis zu diesem Zeitpunkt beispiellos und vor der Reichskrise des 3 Jhs. undenkbar. Zudem ist längst nicht bei allen Prägungen aus dem Palmyrenischen Sonderreich klar, welcher der Herrscher auf dem Avers und damit auf der wichtigeren Seite der Münze abgebildet ist. Die Herausforderer spielen mit dieser Uneindeutigkeit und schöpfen damit die spezifischen Darstellungsmöglichkeiten von Münzen als Medium mit zwei Seiten aus. Dieses Zusammenspiel von Avers und Revers erscheint damit als Ausweis einer anderen Ästhetik, geprägt durch die Herausforderer im Palmyrenischen Sonderreich.

Falschgeld: Imitationen

Die Krise des römischen Reichs bringt außerdem zahlreiche Nachahmungen von Münzen hervor. Wahrscheinlich werden die meisten dieser Nachahmungen nach der Wiedereingliederung des Gallischen Sonderreiches geprägt.

Nach der Niederlage des Tetricus gegen Aurelian werden die bedeutenden Münzstätten dieser Region in Trier und Köln geschlossen und die staatliche Geldversorgung von Nordgallien, Germanien und Britannien kommt zum Erliegen. Die in kleinen dezentralen Werkstätten geprägten Nachahmungen weisen in den meisten Fällen einen gröberen Stil als die Zentralrömischen- und die Sonderreichsprägungen auf:

Imitation

Imitation eines Antoninians von Tetricus I, Revers

Friedensgöttin Pax

Antoninian, 274 n. Chr., Mzst. Köln, ELMER 775, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, roth14653.
Original

Antoninian des Tetricus I, Revers

Friedensgöttin Pax

Antoninian, 271–274 n. Chr., Mzst. Köln, RIC V Tetricus I 100, American Numismatic Society, MANTIS, 1984.67.237.

Die Buchstaben der offiziellen Münze des letzten Herrschers des Gallischen Sonderreiches, Tetricus, werden grob nachgeahmt: In der Umschrift der Münzvorderseite IIIIP TETRICVS P(ius) F(elix) AVG(ustus) soll der erste Legendenbestandteil sehr wahrscheinlich IMP für Imperator heißen. Auch die Reverslegende beschwört mit P II X I I II statt PAX AVG (= der Friede des Augustus) nicht mehr den Frieden, der durch den Herrscher verursacht wird, sondern ergibt keinen Sinn mehr.

In der Forschung wurden solche Münzen lange als Barbarisierungen (= durch Barbaren geprägt) bezeichnet und als einfache Fälschungen der offiziellen Prägungen abgewertet. Neuere Forschungen weisen jedoch auf die umfangreichen Abweichungen vom Original hin, die eine bloße Nachahmung unwahrscheinlich machen. Dass die Legenden keinen Sinn mehr ergeben, ist mit einem wesentlichen Wandel im Verständnis der Funktion von Schrift auf Münzen verbunden: Die Funktion der Legende lag zunächst in einer bedeutenden Erweiterung der Bildaussage um wesentliche Eigenschaften des Kaisers. Die Imitationen geben jedoch weder den richtigen Titel noch die Ämterzahl des Kaisers an, sondern ahmen Zahlzeichen und Buchstaben lediglich nach. Trotz des Bedeutungsverlusts scheint eine rein dekorative Funktion der Legenden unwahrscheinlich. Sie werden nach wie vor als ein spezifisches Merkmal der Herrschaftsrepräsentation ihrer Zeit wahrgenommen.

Imitationen zeigen, welche Formen der Herrschaftsrepräsentation als nachahmungswürdig und damit als funktionsfähig bewertet werden. Fraglich ist, ob die Imitationen lediglich eine Art Notgeld darstellen, das den Kleingeldmangel in den Nordwestprovinzen auffängt, oder ob sie darüber hinaus auf eine Emanzipation von Rom bzw. von der klassisch römischen Ästhetik verweisen, da insbesondere die Darstellungsweise der Herrscher der Sonderreiche nachgeahmt und zudem ein eigener Stil entwickelt wird. Damit verbunden sind die gegensätzlichen Forschungsthesen, dass die Nachahmungen lediglich eine ökonomische Funktion erfüllen oder mit ihrer Gestaltung auch ein eigener ästhetischer Anspruch geprägt durch andere sozio-kulturelle Strukturen in diesen Reichsteilen einhergeht. Möglicherweise kann im Hinblick auf die Veränderung von Darstellungsmerkmalen und ihrem Funktionswechsel generell abgeleitet werden, dass ein Mangel andere Ästhetiken hervorbringt.

Lost in Translation: römisch vs. griechisch

Auf den ersten Blick scheint diese Münze aus Antiochia eine übliche Herrscherprägung ihrer Zeit zu sein. Auf der Vorderseite findet sich das Porträt des amtierenden Kaisers mit Strahlenkrone, welche das Nominal – also den Wert der Münze – als Antoninian ausweist. Auf der Rückseite ist Aequitas als allegorische Verkörperung der kaiserlichen Gerechtigkeit abgebildet, eine Personifikation aus dem Standardrepertoire römischer Kaiser.

Antoninian von Vaballathus, Avers

Vaballathus

Antoninian von Vaballathus (272 n. Chr.), Mzst.: Antiochia?, RIC V Vabalathus 1, American Numismatic Society, MANTIS, 1944.100.30790.

Antoninian von Vaballathus, Revers

Aequitas, die personifizierte Gerechtigkeit

Antoninian von Vaballathus (272 n. Chr.), Mzst.: Antiochia?, RIC V Vabalathus 1, American Numismatic Society, MANTIS, 1944.100.30790.

Auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch, dass auf dieser Prägung mitnichten der zentralrömische Kaiser Aurelian zu sehen ist, sondern vielmehr der palmyrenische Herausforderer Vaballathus – hier nun vollends in römischer Darstellungstradition.

Nach dem Bruch mit Rom im Jahr 271/272 werden nicht mehr beide Herrscher auf der Münze gezeigt, stattdessen formuliert die Darstellung des Usurpators auf dem Avers seinen veränderten Herrschaftsanspruch klar und deutlich. Folgerichtig beansprucht der palmyrenische Regent die römischen Herrschertitel in der lateinischen Averslegende IM(perator) C(aesar) VHABALATHVS AVG(ustus) für sich selbst. Auch die Legende der Rückseite verweist auf den Kampf um die Macht: Der griechische Buchstabe Epsilon in der Reverslegende A∈QVITAS AVG(usti) verrät, dass der Stempelschneider der lateinischen Sprache sehr wahrscheinlich nicht mächtig ist und die klassisch römischen Repräsentationsformen nurmehr nachgeahmt werden.

Die lateinische Sprache dominiert als Amtssprache des römischen Reiches unangefochten die Legenden der gesamten imperialen Prägungen und wirkt damit als spezifisches Merkmal römischer Kaisermünzen. Die lateinischen Legenden vermitteln den Herrschaftsanspruch der Kaiser und die Kulturdominanz des Römischen. Ungeachtet der Mehrsprachigkeit im römischen Reich finden sich andere Sprachen in der römischen Kaiserzeit auf diesem Medium allenfalls in Form des Griechischen in den provinzialrömischen Prägestätten. Für die Repräsentation von Herrschaft ist entscheidend, welche Sprache sich auf den Münzen letztlich durchsetzen kann.

Inflation und Materialität

Dieser poröse Antoninian zeigt, wie es um die Silbermünzen zu Zeiten der Reichskrise bestellt ist. Die zahlreichen militärischen Konflikte erfordern Unmengen an Münzen als Soldzahlungen für die im ganzen Reich stationierten Truppen. Dabei überschreitet der Bedarf an neuen Münzen die Fördermenge an Edelmetall für diese Emissionen erheblich.

Antoninian des Tetricus I, Avers

Tetricus

Antoninian des Tetricus I (271–274 n. Chr.), Mzst.: Köln, RIC V Tetricus I 106, American Numismatic Society, MANTIS, 1995.11.1204.

Antoninian des Tetricus I, Revers

Pax

Antoninian des Tetricus I (271–274 n. Chr.), Mzst.: Köln, RIC V Tetricus I 106, American Numismatic Society, MANTIS, 1995.11.1204.

Dieses Missverhältnis wird durch die Reduktion des Anteils an Edelmetall in den Prägungen effizient ausgeglichen. Hatte ein Antoninian im Jahr 238 im Schnitt immerhin noch einen Silbergehalt von etwa 40%, sind es um 270 weniger als 3%. Mit der Methode des Weißsiedens wird den schlechten Münzen trotz niedrigen Edelmetallanteils ein silbriges Äußeres verliehen. Nach kurzer Umlaufzeit löst sich diese Schicht allerdings ab und das Kupfer kommt deutlich zum Vorschein. Dieses Phänomen ist auch bei den Tetradrachmen aus Alexandrien zu beobachten: Enthielten diese zu Beginn des römischen Prinzipats noch genau so viel Silber wie die Denare, so sind diese in der Reichskrise ebenfalls nur noch mit einem Silbersud an der Oberfläche überzogen und weisen einen Silbergehalt von 3 bis 0,3% auf. Die Währungsverschlechterung betrifft mithin das gesamte Reich.

Die Kaiser des ausgehenden 3. Jahrhunderts versuchen die voranschreitende Inflation zu stoppen: Aurelian kann mit der Wiedereingliederung des Gallischen und Palmyrenischen Sonderreiches einen wesentlichen Beitrag zur Stabilisierung des Imperiums leisten, mit dem Einführen einer hochwertigeren Silbermünze versucht er sich zudem an einer Reform der Wirtschaft des Reiches. Allerdings kann erst die Münzreform unter Diokletian im Jahr 294 die rapide Geldentwertung verzögern. Entscheidend ist dabei ein Währungswechsel: Der Antoninian wird durch den Follis abgelöst und sein Wechselkurs an das Goldnominal, den Aureus, gebunden. Außerdem wird die Währung vereinheitlicht und damit auch die Prägung eigener Nominale in Alexandrien unterbunden. Als weitere Maßnahme zur Bekämpfung der Inflation wird im Jahr 301 ein Höchstpreisedikt mit festgeschriebenen Preisen für Waren und Arbeitsleistungen erlassen.

Fraglich ist, wie stark die Materialität mit dem Ausdruck des Herrschaftsverständnisses verbunden ist und ob schlechtes Material wie bei Antoninianen mit einem geringen Silberanteil sowie dem starkem Abrieb der Porträts und Bilder auch eine schlechte Herrschaft widerspiegelt. Ein deutlicher Hinweis auf die Bedeutung der Materialität von Münzen ist der Aufwand, der für das Weißsieden betrieben wird. Der Kleingeldmangel in Gallien und die sichtbar schlechteren Antoniniane sind nicht nur Indikatoren der Krise des römischen Reiches im 3. Jh., sondern auch entscheidende Faktoren für die Herausbildung anderer Ästhetiken in Krisenzeiten.

Der Sieg auf der Münze: Das Ende des Palmyrenischen und des Gallischen Sonderreichs

Nachdem Aurelian zunächst andere Usurpatoren niederschlagen und die Donaugrenze sichern musste, kann er sich im Jahr 272 endlich mit den Anmaßungen im Osten beschäftigen und zieht gegen das Palmyrenische Sonderreich.

Er besiegt Vaballathus und seine Mutter Zenobia noch im selben Jahr und zieht danach nach Norden, um auch das Gallische Sonderreich erneut dem Imperium einzugliedern. Vaballathus stirbt wahrscheinlich noch auf dem Weg nach Rom während Zenobia und Tetricus im Triumphzug in Rom als besiegte Feinde vorgeführt werden. Die Münzen Aurelians bringen diesen Erfolg eindrucksvoll ins Bild:

Antoninian des Aurelian, Avers

Aurelian

Antoninian des Aurelian (270–275 n. Chr.), Mzst.: Ticinum (Pavia), RIC V Aurelian 151, American Numismatic Society, MANTIS, 1944.100.32790.

Antoninian des Aurelian, Revers

Globus mit erhobener Hand und Gefangenen zu seinen Füßen

Antoninian des Aurelian (270–275 n. Chr.), Mzst.: Ticinum (Pavia), RIC V Aurelian 151, American Numismatic Society, MANTIS, 1944.100.32790.

Aureus des Aurelian, Avers

Aurelian

Aureus des Aurelian (273–274 n. Chr.), Mzst.: Siscia (Sisak), RIC V Aurelian 375, Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Interaktiver Katalog des Münzkabinetts 18277631, Foto: Benjamin Seifert (Lübke und Wiedemann).

Aureus des Aurelian, Revers

Sol mit erhobener rechter Hand und Globus

Aureus des Aurelian (273–274 n. Chr.), Mzst.: Siscia (Sisak), RIC V Aurelian 375, Münzkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin, Interaktiver Katalog des Münzkabinetts 18277631, Foto: Benjamin Seifert (Lübke und Wiedemann).

Der Sonnengott Sol zur Legende ORIENS AVG verweist auf den Sieg im Osten. Auf einigen Prägungen wird diese Aussage sogar noch durch zwei gefesselte Gefangene zu Füßen des Schutzgottes hervorgehoben. Auf anderen Prägungen nennt er sich RESTITVTOR ORBIS, Wiederhersteller der Welt – dabei wird die Botschaft durch den Globus als Zeichen der Weltherrschaft in der Hand des Gottes verstärkt.

Vergleichbarkeit: Krise = Krise?

Die identitätsstiftende Funktion von Zahlungsmitteln lässt sich bis in die Neuzeit verfolgen. Parallelen zeigen sich zum Beispiel im Hinblick auf das Notgeld, das in Deutschland in den frühen Jahren der Weimarer Republik ausgegeben wird:

1-Mark-Geldschein von Langeneß-Nordmarsch (Hallig), Vorderseite

Stube mit Kachelofen und Stuhl

Notgeld, Sammlung von Karl Fritz, Landesarchiv Baden-Württemberg / Staatsarchiv Freiburg, Inv.Nr.: 5-118542, Schleswig-Holstein 1921: W307 Nr. 386, DOI: http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=5-118542-9 (01.02.2023).
CC BY 3.0

1-Mark-Geldschein von Langeneß-Nordmarsch (Hallig), Rückseite

Bild einer jungen Frau, daneben Windmühle und Schiff

Notgeld, Sammlung von Karl Fritz, Landesarchiv Baden-Württemberg / Staatsarchiv Freiburg, Inv.Nr.: 5-118542, Schleswig-Holstein 1921: W307 Nr. 386, DOI: http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=5-118542-10 (01.02.2023).
CC BY 3.0

Als ausgebende Institution prangt auf der Vorderseite dieses Geldscheines tatsächlich die Hallig Langeness-Nordmarsch. Die Fische, das Schiff, die Bockmühle und die Frau in friesischer Tracht sind Motive mit klarem Regionalbezug anstelle des Reichsadlers als überregionalem Identitätsmerkmal – die staatliche Repräsentation tritt damit zugunsten regionaler Darstellungs- und Ausdrucksformen zurück. Die Rückseite des Scheins zeigt eine gekachelte Stube mit Ofen und Stuhl, darunter den Text „Dü liewe God, bewahre üs Hüss in Störm un Noud!“. Regionale Dialekte finden sich nicht selten auf dem sogenannten Notgeld der Zwischenkriegszeit. Der Schein trägt zudem das unübliche Nominal von einer Mark, das so nie durch offizielle Stellen ausgegeben wurde. Auch das graumelierte Papier dieser Prägung macht auf materieller Ebene die Krise und den inoffiziellen Charakter des Notgeldes sichtbar.

Notgeld wird im Deutschen Reich und der Weimarer Republik zur Zeit des ersten Weltkrieges und in der Zwischenkriegszeit zwischen 1917 und 1923 emittiert. Der Metallbedarf der Kriegsindustrie führt zu einem Mangel an Materialien für die Herstellung von Kleingeld. Münzen werden daher aus Ersatzmaterialien wie Pappe, Leinen oder gar Porzellan gefertigt. Städte, Gemeinden, Betriebe und viele weitere Institutionen versuchen die Lücke an staatlichen Zahlungsmitteln durch eigene Prägungen zu decken. Aufwändig gestaltete Serienscheine mit kleinen Nominalen von wenigen Pfennigen oder Mark dienen dabei nicht nur zum Ersatz von Kleingeld, die ausgebenden Institutionen versuchen durch den Verkauf an Sammler zusätzliche Einnahmen zu erzielen. Das massive Nachdrucken der Mark zur Deckung der Staatsschulden nach dem ersten Weltkrieg führt zu einem extremen Verlust der Kaufkraft und schließlich zur Hyperinflation. Der Druck durch die enormen Reparationszahlungen und die Kosten des Streiks gegen die Ruhrgebietsbesetzung schwächen die deutsche Wirtschaft im Jahr 1923 derartig, dass Scheine mit einem Nennwert von mehreren Billionen Mark ausgegeben werden, deren Wertbeständigkeit oft nur Stunden beträgt.

Im Hinblick auf eine spezifische, andere Ästhetik von Münzen der römischen Kaiserzeit stellt sich die Frage, ob sich ähnliche Entwicklungen des Mediums auch in anderen Krisenzeiten ausmachen lassen und wie sich Geld als Kommunikations- und Repräsentationsmittel in Zeiten instabiler Herrschafts- und Regierungsformen verhält. Das zwischen den Weltkriegen emittierte Notgeld zeigt sich in dieser Hinsicht nicht nur als Zeichen der Inflation, sondern auch als Manifestation der Krise selbst (in ikonographischer Gestaltung, Materialität und Wertigkeit). Die Stabilität des Geldes kann auch in der Weimarer Republik erst durch die Einführung einer neuen Währung in Form der Rentenmark und schließlich der Reichsmark sowie eine Rückbindung an die Goldmark wieder hergestellt werden. Die dezentrale Gestaltung von Geld sowie eine veränderte Kommunikationsweise durch abgewandelte Bildelemente ist damit auch Merkmal anderer Krisenzeiten.

Michele Lange

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