Sprechen vom Unaussprechlichen – Der schoene schîn in der Mystik

In der modernen Ästhetik sind Heilsversprechen allgegenwärtig. Wer sie sucht, muss sich noch nicht einmal in die luftigen Höhen abstrakter Theorien aufschwingen oder das seit der Romantik prominent gewordene Schlagwort der Kunstreligion aufrufen.

Alltäglich begegnen uns Heilsversprechen in ästhetischen Inszenierungen: Ob Verheißungen von Glück und ewiger Schönheit in der Werbung, ob Museen, die mit ihren Kuppeln an Sakralbauten erinnern, ob Massenekstasen auf Rockkonzerten oder das in Verzückung geratene Publikum im klassischen Konzertsaal – überall trifft man auf ein Vokabular und auf Reaktionen, die man eigentlich eher im Kontext religiöser, ja mystischer Erfahrung erwarten würde.

Doch woher rührt diese Nähe zwischen Kunst und Religion, woher die enge Verbindung ästhetischer Verheißung zu sogenannter mystischer Erfahrung? Handelt es sich hier um echte Verwandtschaft oder nur um eine scheinbare?

Sprechen vom Unaussprechlichen

Solchen Fragen widmen wir uns, indem wir Beispiele aus der Geschichte der christlichen Mystik in den Blick nehmen. Dabei werden in innovativer Weise die Perspektiven von Theologie und Literaturwissenschaft zusammengeführt, um auszuloten, wie Kunst und Religion, ästhetischer und religiöser Sinn in Texten mittelalterlicher Mystik miteinander in Kommunikation treten.

Wir wenden uns dazu exemplarisch zwei prominenten Texten mittelalterlicher Mystik zu: Das fließende Licht der Gottheit, welches Mechthild von Magdeburg (vermutlich ca. 1207­–1282) zugeschrieben wird, und die volkssprachigen Predigten Meister Eckharts (ca. 1260–1328). Im Fließenden Licht der Gottheit sind Offenbarungen, Visionen und immer wieder die mystische Erfahrung der entrückenden Liebeseinheit mit Gott geschildert. Der Professor und Seelsorger Eckhart denkt in seinen Predigttexten darüber nach, wie die Einheit mit Gott entstehen kann. In beiden Texten ist das Licht dabei ein zentrales Motiv.

Seit jeher wird Licht mit Fragen nach Religion und Heil, Ursprung und Ziel allen Seins in Verbindung gebracht. Auch in der christlichen Theologie spielt das Licht in diesen Zusammenhängen eine ganz besondere Rolle: Licht ist ästhetisches Phänomen und übersteigt als Bedingung jeglichen Sichtbarwerdens doch alles Sichtbare. Weil Licht Inbegriff der Sichtbarkeit ist und doch niemals selbst direkt sichtbar wird, wird es im Fließenden Licht der Gottheit und in den Predigten Eckharts auf Gott bezogen. In dieser Verbindung von Licht und Gott wird die Lichtästhetik in den mystischen Texten zu einer Gestalt ,anderer‘ Ästhetik – zu einer Ästhetik, die sich nicht in sich selbst erfüllt, sondern auf den unverfügbaren Gott verweist. In der Mystik greifen damit ästhetische und religiöse Erfahrung tatsächlich ineineinander.

Anja Bork, Lukas Steinacher

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