Klingende Kur – Bade- und Kurmusik der Frühen Neuzeit

Das sogenannte Bad zu Leuk

Das idealisierte Bild eines Wildbades zeigt nicht nur Speis und Trank im Bad, sondern auch aktives Musizieren auf zwei Blasinstrumenten, einer Knickhalslaute und Gesang.

Hans Bock d. Ä., Das Bad zu Leuk, 1597, 78,4 × 109,6 cm, Kunstmuseum Basel, Inv. Nr. 87.

Das Bad dient schon in der alten Medizin dem Wiedergewinn oder dem Erhalt von Gesundheit. Bei der Badekur in heilsamen Thermal- oder Mineralquellen, in öffentlichen und privaten Badehäusern wird jedoch nicht nur gebadet, sondern auch gespeist und getrunken, gesungen und auf Instrumenten musiziert. Dabei dient die Bademusik während der Schwefel-, Schwitz- und Dampfbäder oder bei den Trinkkuren nicht nur der Unterhaltung; den musikalischen Klängen selbst wird heilende und reinigende Kraft zugeschrieben.

Die Wissenschaft von der Badekultur

Die Wissenschaft von der Badekultur, die Balneologie, ist im Bereich der Medizin- und Gesellschaftsgeschichte Europas ein breites, etabliertes Forschungsfeld. Das Badegeschehen der Frühen Neuzeit umfasst jedoch neben Reinigungsaspekten und der Hoffnung auf Heilung von Krankheit oder sonstiger Unpässlichkeit immer auch eine musikalische Komponente: Die Musik übernimmt dabei unterschiedliche Funktionen – von der Kurzweil bis zur Kur.

Der reiche Mann an seinem Tisch

Dieser Kupferstich allegorisiert die biblische Parabel über reges Geschehen im Badeumfeld: Neben dem konkreten Badevorgang einer Dame sieht man im Vordergrund das Schröpfen und Aderlassen, während im Hintergrund ein Flötenspieler musiziert.

Heinrich Aldegrever, Der reiche Mann an seinem Tisch, 1. Blatt der fünfteiligen Serie ‚Die Parabel vom reichen Mann und armen Lazarus‘, 1554, Kupferstich 79 x 107 mm, Amsterdam, Rijksmuseum, Inv. Nr. RP-P-OB-2655.

Vor diesem Hintergrund erstaunt es, dass die weitverbreitete Bademusik im musikgeschichtlichen Forschungsdiskurs bisher weitgehend ausgeschlossen wurde. So findet sich in der musikwissenschaftlichen Enzyklopädie „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“ kein eigener Eintrag zu „Bade-“, Bäder-“ oder „Kurmusik“. Auch in der weiteren Forschung gibt es bislang nur wenige Beiträge zu Stellenwert und Ausgestaltung der Musik in der Badekultur der Frühen Neuzeit (1450 bis 1750). Und diese wenigen musikhistorischen Auseinandersetzungen bieten entweder nur knappe, oberflächliche Beschreibungen oder sie schildern Aufenthalte von Musikern (etwa Telemann oder Bach) in Badeorten. Unser Ziel ist eine grundlegende Aufarbeitung der Quellenlage, um die Bademusik für die Forschung zu erschließen und die kulturhistorischen Aspekte, die sich mit der Bade- und Kurmusik verbinden, auszuleuchten.

Das Männerbad

Neben der Badeszene bietet das Bild eine Darstellung der vier Temperamente und fünf Sinne.

Albrecht Dürer, Das Männerbad, ca. 1496–1497, Holzschnitt, 392 x 283 mm, Frankfurt am Main, Städel Museum, Inv. Nr. 31576.

Während die Badegäste mit unterschiedlichen Tätigkeiten im Wasser beschäftigt sind, sitzt ein Musiker am Beckenrand und musiziert auf seinem Streichinstrument.

Titelblatt aus: Gallus Etschenreuter, Aller heylsamen Bæder / Saurbrunnen / vñ anderer wasser / so in Teutschland bekandt vnd erfahren […], Straßburg: Christian Müller d.J. (Erben), 1580, Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Sign. Js 123.

Musik als Medizin

Der angestrebte Heilungsprozess im Bad baut auf den medizinischen Theorien der damaligen Zeit auf. Die medizinische Diätetik umfasst dabei Maßnahmen und Handlungen, welche zu einer gesunden Lebensweise bzw. zur Genesung beitragen. Nach dieser Auffassung fördern z. B. körperliche Bewegung oder ausgewählte Speisen den Heilungsprozess. Auch der Musik kommt hierbei eine tragende Rolle zu, indem sie Geist und Gemüt beeinflusst.

Holzschnitt aus: Kalender, Iatromathematisches Hausbuch, Augsburg: Johann Blaubirer, 1481, fol. 7v, München, Bayerische Staatsbibliothek, Sign. 4 Inc.c.a. 190 l.

So hält der Musiktheoretiker Johannes Tinctoris um 1470/80 fest, dass die Musik die Traurigkeit vertreibt, den Menschen erfreut und die Kranken heilt. Diese Überzeugungen werden in der Folge von unterschiedlichen frühneuzeitlichen Autoren bekräftigt. Musik wird nicht nur als Lenkerin der menschlichen Affekte beschrieben, sondern auch als ein zentrales Mittel angesehen, um auf Körper und Geist einzuwirken. Dabei spielt, wie bei jeder Medikation, die Dosierung eine entscheidende Rolle: Im richtigen Maße eingesetzt, ist die Musik dem Heilungsprozess dienlich, indem sie das Gemüt ermuntert und damit die spiritus, die menschlichen Lebensgeister, stärkt. Ein Übermaß jedoch kann schädliche Folgen haben. So warnen Badeärzte des 17. Jahrhunderts wie Philipp Weber oder Malachias Geiger vor übermäßigem Singen im Bad, welches nach den damaligen Vorstellungen den Kopf füllt und das Haupt damit schwach und flüssig macht.

Die reinigende Kraft der Musik

Neben dem physischen Heilungsprozess dient das Bad auch dem Seelenheil. Hier zeigt sich die religiöse Dimension des frühneuzeitlichen Badewesens: Wie alle anderen Lebensbereiche auch ist es wesentlich durch den christlichen Glauben geprägt. Daher ist das Gotteslob ein zentrales Anliegen der Badenden und der Alltag der Kurgäste war durch eine Vielzahl von Gebeten, Prozessionen und Gottesdiensten bestimmt. Während beim stillen, persönlichen Gebet im Bad auf das aktive (akustisch wahrnehmbare) Singen und Musizieren verzichtet werden soll, dokumentieren die erhaltenen Zeugnisse auch Gottesdienste, bei denen von den Badegästen geistliche Lieder gesungen werden.

Allgemein gibt der kirchliche Moralkodex bestimmte Normen für das Badewesen vor: So besteht einerseits die Pflicht zur körperlichen wie auch zur spirituellen Reinigung, andererseits herrscht ein Verbot „unsittlichen“ Verhaltens – auch die Musik wurde in diesem Sinne streng geregelt, so waren etwa Buhllieder ausdrücklich untersagt.

Die bildlichen und literarischen Quellen zum Thema zeigen ambivalente Ansichten und individuelle Moralvorstellungen zu den Verheißungen und Versuchungen des Bades – besonders vielgestaltig finden sich diese in der Mären- und Schwankliteratur der damaligen Zeit. Diese ambivalente Sichtweise betrifft auch die Bewertung der Musik im Badegeschehen: Ein Sinnbild hierfür ist der (musizierende) Bad-Narr, der als zeitlose Metapher für allerlei weltliche Eitelkeit und allgemeines Elend steht.

Badefahrt

Der Franziskanermönch Thomas Murner beschreibt in seiner geistlichen Badefahrt die physische und spirituelle Reinheit. Christus agiert als Baderufer und bläst auf seinem Instrument ins Bad und auch zum Jüngsten Gericht.

Thomas Murner, Ein andechtig geistliche Badenfart, des hochgelerte[n] Herre[n] Thomas mürner […], Straßburg: Grüninger, 1514, fol. 4v, München, Bayerische Staatsbibliothek, Sign. 4 P.o.germ. 145 a.

Auf dem Titelholzschnitt des medizinischen Traktats wird ein musizierender Narr abgebildet, der am Beckenrand steht und eine ambivalente Haltung zu den Badenden verdeutlicht.

Titelholzschnitt aus: Lorenz Fries, Tractat der Wildbeder natuer wirckung vnd eigentschafft […], Straßburg: Grieninger, 1519, München, Bayerische Staatsbibliothek, Sign. 4 M.med. 295,16.

Bademusik: Wer? Wie? Was?

Wie kann man sich das Musizieren im Bad vorstellen? Wer musiziert? Für wen wird musiziert?

Bereits der damalige römisch-deutsche König Maximilian I. nimmt im Jahr 1504 trotz Kriegswirren seine Musiker mit ins Bad, um nicht auf eine klangvolle Unterhaltung verzichten zu müssen. Höfisch angestellte Akteure als Begleiter ihres Dienstherrn sind auch im Pfeffersbad in der Schweiz nachweisbar: Im August 1630 begibt sich ein namentlich nicht genau bestimmbarer Freyherr mit seinen Musikern ins Bad und füllt das Pfeffersbad mit lauten Klängen. Häufig übernehmen Stadt- bzw. Turmbläser und die städtischen Musikgruppen die Badeunterhaltung. Neben diesen professionellen Akteuren musizieren jedoch auch die Badegäste selbst – Musik ist dabei wesentlicher Bestandteil des Baderituals.

Der Komponist und Sänger Ludwig Senfl nimmt im Text seiner vierstimmigen Komposition Bezug auf die Freuden und Unterhaltungen im Bad. Dabei spielen auch Rituale und gesellschaftliche Konventionen eine wichtige Rolle.

Der dritte teyl, schöner, lieblicher, alter, und newer teutscher Liedlein: nicht allein zu singen, sonder auch auff allerley Instrumenten zu brauchen, sehr dienstlich, und ausserlesen, und vormals nie gesehen, Nürnberg: Johann vom Berg / Ulrich Neuber, 1549, London, British Library, Sign.: Music Collections DRT Digital Store K.3.g.6.

Was für Musik wurde zum Besten gegeben und wie ist diese überliefert?

Das Repertoire der Bade- und Kurmusik ist breit gefächert und umfasst sowohl geistliche als auch weltliche Badelieder. Geistliche Badelieder zielen auf die spirituelle Reinheit der Badegäste und offenbaren mitunter konfessionelles Konfliktpotenzial mit der Badekultur.

Die Nonne Meliora Muchheim besuchte gemeinsam mit ihren Konventualinnen aus dem Kloster Hermetschwil regelmäßig die nahegelegenen Badeorte. Das von ihr komponierte Lied umfasst neben unterhaltenden Aspekten auch spirituelle Bezüge zu Krankheit und Gesundheit.

Notenseite aus: Meliora Muheim, Ein nüw Lied in Badenfaerten lustig zesingen : in der Wyss, es taget underm holen Stein, schynt uns der Mon darein, 1617, Zürich, Zentralbibliothek, Sign. 18.2016,17.

Weltliche Badelieder dienen hingegen hauptsächlich der Unterhaltung der Badegäste und greifen dabei typischerweise die im Bad zu kurierenden Krankheiten oder die Vorzüge lokaler Bäder auf („Bringt leichten Mut und macht gut Blut“!). Das erhaltene Notenmaterial lässt sich dabei nach verschiedenen Typen einteilen: Es finden sich eigenständige Liedflugblätter, Tabulaturen oder Kompositionen mit eigens auf das Badeumfeld bezogenen Texten. Die meisten Badelieder sind jedoch in Sammlungen bzw. als Anhang zu medizinisch-balneologischen Schriften enthalten. Darüber hinaus lässt sich durch Zusätze wie „im […] Bade gesungen“ erkennen, dass traditionelle Choräle, Kirchen- und Volkslieder auch im Bad Verwendung finden und so ist letztlich jedes musikalische Gut, angepasst an die äußeren und inneren Umstände, als Bade- und Kurmusik denkbar.

Lorenz Adamer

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