Abrakadabra – Der dämonische Ursprung der Illusion

Teufelsglaube, Liebeszauber, Schlangenbeschwörung

In der Literatur der Frühen Neuzeit finden sich zahlreiche Texte, in denen der Teufel und seine Machenschaften eine große Rolle spielen. Immer wieder geht es um Verblendung, Täuschung und Illusion.

Die literarischen Texte nehmen dabei Bezug auf theoretische Schriften, in denen der Teufel und sein Einfluss auf den Menschen im Mittelpunkt stehen. Diese werden auch dämonologische Traktate genannt und entstanden unter anderem um 1580–1610 in Frankreich im Zuge der Hexenverfolgungen. Die Démonomanie (1580) von Jean Bodin diente z.B. als juristische Grundlage für Hexenprozesse. Auch wurden diese Traktate gelesen, um das eigene Seelenheil vor dem schädlichen Einfluss des Teufels zu bewahren. Hier konnte man lernen, in welchen Situationen der Teufel als Urheber von Trugbildern und Täuschungen zu vermuten ist. Außerdem vermittelten diese Schriften magisches Wissen, so dass man den Magier meiden konnte, der mithilfe des Teufels Trugbilder erscheinen lässt. Nicht selten zeigt sich dabei in der Aufbereitung des teuflischen Stoffs das Faszinationspotential des Bösen.

Ein Satyr aus Tassos Aminta

Melchior Tavernier: Les figures de l’Aminte, in: Honoré d’Urfès (Hg.): Recueil factice d’illustrations pour L’Astrée et L’Aminte. XVIIe siècle, Zeichnung, 1483×104, Paris 1632, fol. 19, Digitalisierung des Gallica-Katalogs der BNF: http://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb403612094 (14.02.2013).

Das gilt auch für das Theater: Viele Stücke der französischen Vormoderne zeichnen sich durch den Auftritt von Magierfiguren aus, die eine teuflische Wirkung heraufzubeschwören scheinen. Inwiefern spielen die Autoren dabei mit den dämonologischen Vorstellungen des Publikums? Wie begegnen die Theaterstücke in ihren Dialogen der Verteufelung des Magiers einerseits und der Kritik des Theaterraums als Ort magisch-teuflischer Wirkung andererseits? In diesem spannungsreichen Austausch von dämonologischem Wissen und theatraler Inszenierung lässt sich eine vormoderne ,andere‘ Ästhetik entdecken. Ein Beispiel dafür gibt eine Szene aus Nicolas de Montreux’ Arimène ou le berger désespéré.

Nicolas de Montreux’ Arimène ou le berger désespéré (1597)

Arimène oder der verzweifelte Schäfer ist eine sogenannte „tragi-comédie pastorale“ von Nicolas de Montreux, die im Jahre 1597 im Schloss von Nantes aufgeführt wurde. Das Theaterstück enthält unterschiedliche Inszenierungen und Darstellungen von Magie und Illusion. Es handelt von dem Schäfer Arimène, der in die Schäferin Alphize verliebt ist. Seine Liebe wird jedoch nicht erwidert. Daher bittet Arimène den Magier Circiment um Rat. Dieser ermöglicht es ihm durch seine magische Kunst, Alphizes Liebe zu gewinnen…

Titelblatt von Nicolas de Montreux’ Arimène (1597)

Ollenix du Mont-Sacré: Titelblatt, in: Ders.: L’ Arimene, ou Berger desespere, pastorale. Par Ollenix du Mont-Sacre Gentil-homme du Maine, Papier, 851×1566, Paris 1597, Digitalisierung der BNF: http://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb393253477 (18.05.2015).

Auftritt des Magiers Circiment (Szene II, 3. Akt)

Hier kann man hören, wie Arimène gemeinsam mit dem alten Schäfer Ermage und dem närrischen Diener Furluquin den Magier Circiment aufsucht. Er erhofft sich, mit dessen Hilfe von seinem Liebeskummer geheilt zu werden. Circiment führt ihm die unheimlich teuflischen Wunder seiner Magie vor…

Nicolas de Montreux, Arimène ou le berger désespéré, Szene II, 3. Akt (Deutsch)
Nicolas de Montreux, Arimène ou le berger désespéré, Scene II, Acte III (français)

Szene II, 3. Akt: Auftritt des Magiers Circiment

L'Arimene, ou Berger desespere, pastorale. Par Ollenix du Mont-Sacre Gentil-homme du Maine, 1597, Papier, 851x1566, fol. 61r.⁠–⁠63v., Digitalisierung der BNF.

Skizzen eines Bühnenbilds von Poliarque et Argenis

Laurent Mahelot / Michel Lauret: Poliarque et Argenis, in: Dies. (Hg.): Mémoire pour la décoration des pièces qui se représentent par les Commédiens du Roy, entretenus de Sa Magesté, Zeichnung auf Papier, 1372x1054, 1673, fol. 38–39, Digitalisierung der BNF: http://archivesetmanuscrits.bnf.fr/ark:/12148/cc53174n (16.02.2022).

Der Teufel im Theater: Ambivalenz der Magierfigur bei Montreux

Verfolgt man den Dialog von Circiment und Furluquin, dann fällt auf, dass der Magier und der weise Narr aneinander vorbeizureden scheinen. Furlequin bringt Circiments Magie mit dem Teufel in Verbindung, doch Circiment selbst scheint blind für den teuflischen Ursprung seiner Magie zu sein und ignoriert die bissigen Kommentare Furlequins. Dieser bezichtigt Circiment mehrmals indirekt der Hybris. Und tatsächlich maßt Circiment sich gottgleiche Macht an: Zum Beispiel wenn er ebenso wie Moses Schlangen heraufbeschwört (2. Buch Mose, 7) oder wenn er sich zum Herrn über die Elemente macht, indem er ewiges Wasser aus einem Felsen hervorsprießen lassen möchte. Auch stellt er sich auf eine Ebene mit dem christlichen Gottessohn, dessen Taufauftrag er ausführen möchte (Johannes 4, 10). Und wenn der Magier die Erde aufreißen lassen will, lässt sich das als Parallele zum übernatürlichen Erdbeben bei der Auferstehung Jesu (Matt 27, 52) lesen.

Kupferstich einer Narrenfigur

Alexandre Lacauchie: Un fou, dans La Fonti, dernier acte, Académie impériale de Musique, Lithographie, 19,5×13cm, Paris 1855, Digitalisierung der BNF: http://catalogue.bnf.fr/ark:/12148/cb44460613z (15.02.2017).

Diese (Selbst)-Inszenierung Circiments wird im Kontext der dämonologischen Traktate als die perfide Macht des Antichristen und Teufels erkennbar, weil „Satan sich nicht nur in einen Engel aus Licht, sondern in einen Menschen aus Licht verwandeln kann, der Gott werden möchte, wenn es ihm möglich wäre, und die Auserwählten […] durch seine falschen Wunder verführen möchte“ (Pierre Le Loyer, Historie des spectres). Dass Publikum kann so die dämonischen Züge Circiments im Bühnenspiel aufdecken und ihn zusammen mit Furluquin als teuflisch deklarieren. So kommt die zeitgenössische Kritik an der Magierfigur zum Ausdruck: Circiments Hybris wird ausgestellt und dient als Exempel für ein frevelhaftes Verhalten, das all die Schäfer, die ihn als „heiligen Vater“ anhimmeln und sich von ihm Hilfe in ihrem Liebesleiden erhoffen, in ein zweifelhaftes Licht stellt.

Die närrische Perspektive Furluquins ermöglicht die Entschärfung der Furcht vor der Macht Circiments und seiner magischen Wirkung, die für das zeitgenössischen Publikum im Theaterraum durchaus eine reale Bedrohung war. Mithilfe der Narrenfigur können die Zuschauer*innen die Illusion Circiments als solche entlarven. Die inszenierte Magie äußert sich in floskelhaften, sich immer weiter zuspitzenden und in ihrem Duktus wiederholenden Beschwörungen, die den Magier vielmehr als Sprachkünstler enttarnen. Letztlich entscheidet aber bei Montreux der Zuschauer selbst, ob er Furluquins Kritik akzeptiert oder den Narren selbst für nicht glaubwürdig erachtet.

Im lustvollen Spiel mit den teuflischen Vorstellungen des Magischen und der moralischen Bewertung derselben zeigt sich insgesamt die ambivalente Faszination am Bösen. Das Publikum mag von diesem ambivalenten Spiel abgestoßen und belehrt, aber sicherlich auch angezogen worden sein.

Und heute? Auch wenn der spezifische Bezug auf den Teufel selten explizit wird, existiert der Glaube an diabolische Übermächte auf verschiedene Weise weiter. Ein Blick auf die Verschwörungstheorien unserer Zeit zeigt, dass der Glaube, staatliche oder politische Autoritäten seien mit diabolischen Mächten verschworen, grundlegend und damit nach wie vor aktuell ist.

QAnon und die satanistische Verschwörung

Verschwörungstheorien entwerfen eine Welt, in der die Mächte des Guten von denen des Bösen bedroht, herausgefordert und getäuscht werden. Damit sind sie, so könnte man sagen, die Erben des Teufelsglaubens der Frühen Neuzeit. Ein Beispiel bietet QAnon: Anhänger*innen dieser Verschwörungstheorie glauben, die (politischen) Eliten hätten sich in diabolischer Absicht verschworen und würden durch böse Handlungen die Welt beherrschen.

Jake Angeli mit QAnon-Flagge

Jacob Chansley, also known as Jake Angeli, seen from the back wearing a flag referencing QAnon, speaks to supporters of U.S. President Donald Trump, Phoenix, Arizona, USA (06.11.2020). 

Photo: ZUMA Wire via IMAGO

Die QAnon-Bewegung bedient dabei „alle Bedürfnisse, wegen derer sich Menschen überhaupt zu Verschwörungsmythen hingezogen fühlten“ (Tagesspiegel „Ein Verschwörungsglaube geht um die Welt“, 06.09.2020). Der Begründer behauptet, ein US-Beamter zu sein, der Staatsgeheimnisse kenne. Er berichtet in seinen unter dem Pseudonym online veröffentlichten Botschaften „von einem apokalyptischen Kampf […] im Verborgenen“. Dabei werden die Eliten, die in diesem angeblichen Kampf die zu Bekämpfenden seien, diabolisiert und als „Satanisten, Pädophile und Juden“ zusammengefasst, die strategisch Kindesmissbrauch betreiben würden. Die Anhänger Qs fühlen sich in der Rolle der wissenden Retter, die diese satanistischen Herrscher ausschalten wollen. Eine besondere Brisanz liegt in der möglichen Verbindung des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trumps mit diesen Verschwörungskreisen.

„In seinen Botschaften berichtet er von einem apokalyptischen Kampf, der sich im Verborgenen zutrage. Auf der einen Seite stünden finstere Mächte, die das Volk knechteten und sich seit langem im Staatsapparat eingerichtet hätten: Satanisten, Pädophile und Juden. Auf der anderen Seite stehe US-Präsident Donald Trump, der im Weißen Haus aufräumen und die kriminellen Eliten zur Strecke bringen wolle. Für Q-Gläubige ist Trump der Erlöser.“

Insgesamt stellt die QAnon-Bewegung Verbindungen zwischen den Ängsten der Menschen und Verteufelungen von Politiker:innen und anderen Eliten her. Allerdings werden die Verteufelungen dabei nicht genutzt, um Illusionen zu entlarven. Vielmehr dienen sie der Manipulation: Ob die Furcht vor Corona oder die Unzufriedenheit mit der politischen Elite – die dämonische Täuschung dient als Erklärung für Unbekanntes und Ungewolltes und ihre vermeintliche Entlarvung verfolgt im Rahmen von Verschwörungstheorien wiederum ganz eigene Ziele.

Politik als dunkle Magie?

Die mehr oder weniger explizite Assoziation von führenden Persönlichkeiten mit dunklen Mächten ist für Verschwörungstheorien also grundlegend, doch warum ist das so? Und welche Anknüpfungspunkte bietet in diesem Zusammenhang das dämonologische Wissen im Zusammenspiel mit der Inszenierung von Magierfiguren auf der französischen Bühne? Dazu ein paar Gedanken zum Anhören...

Kurzes Gespräch über Politiker, QAnon und Magier in der Frühen Neuzeit

Magic Viktor

Oliver Schopf: Magic Viktor, in: DER STANDARD. Kommentarseite, Ausgabe vom 09.11.2016, Wien 2016, URL: https://www.oliverschopf.com/html/d_polkar/einzel_e/ungarn_orban_jobbik.html (13.02.2023).
Ann-Kristin Fenske unter Mitarbeit von Ellen-Judith Dammann

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