Personifikationen

Vita und Mors am Stamm des Kreuzes

Vergänglichkeit und Schicksal

Leben und Tod als menschliche Figuren darzustellen, war im ersten Viertel des 11. Jahrhunderts keine Selbstverständlichkeit. Wenn also Vita, das Leben, und Mors, der Tod, am Fuß des Kreuzes erscheinen, wie in der Buchmalerei aus dem sogenannten Uta-Codex, einem Evangelienbuch, das in Regensburg für die Äbtissin Uta aus Niedermünster gefertigt wurde, ist dies ein Novum, das seinesgleichen sucht.

„crux e[st] destructio mortis – crux e[st] repa[ra]tio vit[a]e.“ – Das Kreuz ist die Vernichtung des Todes. Das Kreuz ist die Wiederherstellung des Lebens (Inschrift neben dem Kreuzstamm)

Das Mittel der Personifikation wurde hier gezielt eingesetzt, um dem Betrachter Vita und Mors nahbar zu machen und die moralisch-religiöse Botschaft der Buchmalerei durch Gegensätze zu vermitteln. Beide sind wie wir Menschen bekleidet und können sich in Mimik und Gestik ausdrücken. Position und Körperhaltung der beiden sowie der weiteren Figuren, die ihnen zur Seite gestellt werden – die Personifikationen der Sonne (Sol) und des Christentums (Ecclesia) in der linken sowie ihre Gegenstücke die Personifikationen des Mondes (Luna) und des Judentums (Synagoga) in der rechten Bildhälfte – verraten, dass hier Oppositionen aufeinandertreffen und eine Partei dabei klar den Sieg davonträgt: Vita steht zur Rechten Christi und wendet sich diesem mit Gesicht und Oberkörper zu. Mors dagegen ist nach unten geneigt und scheint zur Seite zu stolpern, während er von einem dem Kreuz entwachsenden Trieb gebissen wird. Diese Darstellung knüpft an eine Heilsankündigung Gottes im Alten Testament an, die mit der Ähnlichkeit der lateinischen Worte für Tod, mors, und Biss, morsus, spielt: „ero mors tua o mors ero morsus tuus“ – O Tod, ich werde dein Tod sein, ich werde dein Biss sein (Hosea 13,14). Die Botschaft ist deutlich: Das Leben siegt über den Tod, das Kreuz und damit ist Gott der Bezwinger des Todes.

L. Kluge
Die bekrönte Vita zur Rechten des Kreuzes

Vita

Zur Rechten des Kreuzes und damit der im christlichen Glauben höher bewerteten Seite steht Vita: in herrschaftliche Gewänder aus rotem, blauem und goldenem Stoff gekleidet, mit Schmuck behangen und wie Christus siegreich eine Krone tragend. Christus und Vita sind durch das Bezwingen des Todes miteinander verbunden.

Clm 13601, fol. 3v
Bayerische Staatsbibliothek
Mors mit Sichel und Speer zur Linken des Kreuzes

Mors

Auf der anderen Seite dagegen Mors: Das zerschlissene ockerbraune Gewand, das durch ein Tuch hochgebundene Kinn, eine typische Methode, mit der Tote im Mittelalter für das Begräbnis vorbereitet wurden, und seine fahle Haut lassen ihn wie einen Leichnam wirken. Auch seine Attribute Sichel und Speer können ihm nicht mehr helfen: Zerbrochen und abgeknickt hält er sie nutzlos in den Händen.

Clm 13601, fol. 3v
Bayerische Staatsbibliothek

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