Personifikationen

Frau Minne

Liebe

Ritterlich, platonisch und geprägt von Regeln, die es unbedingt zu befolgen galt – das war die höfische Idealvorstellung der Liebe, die ab dem 12. Jahrhundert als Minne bezeichnet wurde. Und die Regeln waren notwendig, denn die Liebe konnte gefährlich sein, vernebelte sie doch den Verstand, raubte die Vernunft und trübte das Urteilsvermögen! Im Umgang mit Frau Minne, der Personifikation der höfischen Liebe, war also Vorsicht geboten. Dazu scheint auch die Miniatur im Welschen Gast zu mahnen.

Ein Pfeilschuss ins Auge des Geliebten, Zaumzeug, um die holde Dame in Schach zu halten – und das soll Liebe sein?

In zwei Szenen erzählt die Darstellung die Begegnung von Frau Minne und einem jungen Adligen. Die linke zeigt eine wie ein Verbrechen anmutende Handlung: Eine junge, unbekleidete Frau mit langem, blonden Haar zielt mit Pfeil und Bogen auf eine männliche Figur, der bereits ein Pfeil im Auge steckt. Über die Identität der Täterin besteht kein Zweifel – sie trägt hier nicht nur Pfeil, Bogen und Köcher, wodurch sie unweigerlich als Personifikation der höfischen Liebe erkennbar ist, sondern ist neben ihrem Kopf auch noch inschriftlich benannt. Die Gestaltung entspricht der mittelalterlichen Darstellungstradition von Frau Minne. Ihre Attribute verraten, dass die Figur ihren Ursprung im römisch-griechischen Liebesgott Amor hat, und schon dieser machte unbekleidet und bewaffnet mit Pfeil und Bogen Jagd auf seine Opfer. Das Geschoss im Auge des minnenden Mannes visualisiert die mittelalterliche Vorstellung, dass die Liebe durchs Auge ins Herz eindringt – das Bild zeigt also den Moment des Verliebens. In der zweiten Szene auf der rechten Seite hat Frau Minne ihre Waffen gesenkt und der Mann reckt ihr ein blaues Zaumzeug entgegen, dessen Zügel an seinen Gürtel geknotet sind – Frau Minne ist gezähmt, die Gefahr ist gebannt, die Dame und ihr Herz sind gewonnen.

N. L. Luz
Miniatur der Frau Minne am rechten Bildrand der Handschriftenseite im Welschen Gast

Die Miniatur im Welschen Gast hat eine auf den ersten Blick ungewöhnliche Position: Sie erscheint auf der rechten Seite von Folio 19 recto – also auf der Vorderseite des 19. Blattes – neben dem Text. Jedoch steht sie nicht parallel zum Fuß der Seite, sondern um 90 Grad nach rechts gedreht – Leser:innen mussten also den Kopf zur Seite neigen oder die Handschrift drehen, um die Darstellung zu betrachten.

Cod. Pal. germ. 389, fol. 19r
Heidelberg, Universitätsbibliothek

Mix & Match

Alle Exponate

Kunst und Wissenschaft

Innere Instanzen

Städte und Länder

Materielles Gut

Vergänglichkeit und Schicksal

Liebe