Personifikationen

Mutter Grammatik

Kunst und Wissenschaft

Heinrich von Mügeln: Der meide kranz
Vers 169-184

Die ander kunst Gramatica
sprach zu dem waren keiser da:
‘ich bin ein mutter früchte rich:
welch kint uß miner brüste tich
trinket, das erkennet wol,
wie es sin latin reden sol.
buchstaben, namen unde wort
und alle teil han ich gelart:
uß den teilen wirt gesmit
der rede lip und ir gelit.
nam ist das erste teil genant:
dink ane nam ist unbekant.
nam ist mins ingesigels rink,
damit gezeichnet sint die dink.
wie man die namen brechen sal
nach iren fellen hin zutal: […]

Übersetzung

Dann sprach die nächste Kunst, Gramatica,
zu dem wahrhaftigen Kaiser:
„Ich bin eine fruchtbare Mutter;
welches Kind aus dem Teich meiner Brüste trinkt,
das erkennt genau,
wie es lateinisch sprechen soll.
Buchstaben, Namen und Worte
und alle Teile habe ich gelehrt.
Aus den Teilen werden
der Leib und die Glieder der Rede geschmückt.
Der Name ist der erste Teil,
denn ein Ding ohne Namen ist unbekannt.
Der Name ist der Ring meines Siegels,
damit ist den Dingen eingraviert,
wie man die Namen beugen soll
gemäß ihren (grammatischen) Fällen: […]

Alle Macht der Grammatik!?

Gramatica erscheint aufgrund eines Wettstreits vor dem Kaiser.

Wie die anderen Künste tritt sie vor und beginnt ihr Plädoyer: Zunächst stellt sie sich selbst als Mutter vor, die ihre Kinder nährt, und spielt auf Begriffe an, die mit dem Konzept Mutterschaft assoziiert werden: Liebe, Achtsamkeit und Fürsorge. Kinder, die sich in ihre Obhut begeben und Milch aus ihren Brüsten saugen, erlangen so etwa die Fähigkeit, die lateinische Sprache zu sprechen. Des Weiteren beschreibt sie, dass die von ihr gelehrten Buchstaben und Worte Leib und Glieder einer Rede bilden. Das abstrakte Konzept Grammatik wird also mit dem einfacher verständlichen Darstellungsmuster der Mutterschaft erklärt.

Inhalt

Wettstreit der Künste vor dem Kaiser! Wer erhält einen Sitz in der Krone der Gottesmutter (der meide kranz)? Gramatica spricht neben anderen personifizierten Künsten wie Rhetorica (Rhetorik) oder Musica (Musik) vor Kaiser Karl IV. als fiktiver Figur. Sie möchte ihn überzeugen, sie als wichtigste Kunst anzuerkennen und ihr den Platz in der Krone zuzuweisen. Auch die anderen personifizierten Künste bewerben sich, doch weder Kaiser noch Rat vermögen den Konflikt zu entscheiden. Erst mithilfe der Autorfigur Heinrich von Mügeln spricht der Kaiser zwar der Theologia (Theologie) den Sieg zu, allerdings bekommen auch die anderen Künste ihren Platz in der Krone.

Und sonst?

Heinrich von Mügeln selbst findet sich plötzlich in der Geschichte wieder: Interessant ist dabei, dass die Autorfigur Heinrich von Mügeln im Text als Ratgeber des Kaisers auftritt, um bei einer komplizierten Entscheidung zu helfen.

O. Przemus

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