Personifikationen

Anklage an Frau Minne

Liebe

Gottfried von Neifen: Nu schouwet wie diu heide (Lied XV)
Strophe 4

Dô ich die reinen guoten,
die süezen wol gemuoten,
von êrste an sach, dar nâch dô wart mîn herze sorgen bar.
dô hete ich den gedingen
daz sie mich wolte dringen
hin an der föiden stat. Des hât si mich enterbet gar.
nim war, frouwe Minne, wiech si meine:
daz si sô rehte kleine
mich senden trœstet unde ich doch mit triuwen diene dar.

Übersetzung
Strophe 4

Als ich die herrliche Gute,
die sehr süße Edle
das erste Mal ansah,
wurde mein Herz von Sorgen frei.
Da hatte ich die Hoffnung,
dass sie mich
hin zur Freudenstätte drängen wollte. Dessen hat sie mich jedoch vollends beraubt.
Sieh an, Frau Minne, wie sehr ich sie liebe:
Dass sie mich Sehnenden nur sehr wenig tröstet und ich ihr doch mit Treue diene.

Gottfried von Neifen: Nu schouwet wie diu heide (Lied XV)
Strophe 5

Owê, sol ich verderben
und in der sorge ersterben,
frou Minne und ir vil sælic wîp, wie stât iu beiden daz?
vil minnenclîchiu Minne,
sprich daz mîn küniginne
durch wîbes güete sich gein mir ein teil bedenke baz.
nu waz touc mîn gar ze langez bîten?
ez wær wol in den zîten
daz sie mir solte lônen: Minne treit den alten haz.

Übersetzung
Strophe 5

O weh, soll ich zu Schaden kommen
und in Sorge sterben,
Frau Minne und ihr sehr glückbringende Frau, wie steht euch beiden das an?
Liebreizende Minne,
befiehl, dass meine Königin
durch weibliche Güte ihre Haltung gegen mich besser bedenke.
Nun was taugt da mein allzu langes Warten?
Es wäre wohl an der Zeit,
dass sie mir lohnen sollte: Minne trägt den alten Hass.

So hilf, Frau Minne!

Frau Minne ist Inbegriff und Verkörperung der Emotion Liebe und wirkt häufig übermächtig.

Das Wesen von Frau Minne ist dabei ambivalent: Sie kann liebreizende Dame und zugleich gewalttätige Instanz sein. Im vorliegenden Fall wird sie vom Sprecher angeklagt, da die Dame ihn nicht erhöre. So fordert er Frau Minne auf, hinzusehen, wie sehr er die Dame liebe und ihr in Treue diene. Um sein Werben zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen, versucht der Sprecher, Frau Minne in die Verantwortung zu nehmen: Sie solle befehlen, dass die Dame ihre Haltung überdenke. Aber Frau Minne bleibt passiv und wird lediglich angesprochen.

Inhalt

Was ist zu tun, wenn die Angebetete den Werber nicht erhört? Da bietet es sich doch an, die Liebe selbst zu personifizieren und um Hilfe zu bitten. Im vorliegenden Lied verhandelt Gottfried von Neifen die Klage eines unglücklich Werbenden, dessen Erfolg scheinbar vom Gutdünken der Minne selbst abhängt. In fünf Strophen wird ein Setting entfaltet, in dem Frauenpreis und Klage an Frau Minne die vorherrschenden Elemente sind. Um sein Ziel zu erreichen, droht der Sprecher der Minne in letzter Konsequenz mit seinem (Liebes-)Tod, würden Frau Minne und die Dame ihn nicht endlich erhören. Der Spruch endet mit der eher ernüchternden Feststellung: Minne treit den alten haz.

Und sonst?

Frau Minne ist im Œuvre Gottfrieds von Neifen keine Unbekannte: Sie taucht in insgesamt 30 seiner 51 Lieder auf – meist nach einem Lobpreis auf eine Dame. Meist spricht das Ich die Minne klagend an und macht sie für seinen Liebesschmerz verantwortlich. Dieses Lied geht jedoch noch einen Schritt weiter: Frau Minne soll aktiv in das Geschehen eingreifen und die bisher misslungene Werbung vollenden.

M. Schmidt

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