Personifikationen

Der gewalttätige Pfennig

Materielles Gut

Der elende Knabe: Minne und Pfennig
Vers 6–23

es waß Lieb und der Pfenning.
Lieb die sprach bald: ‘wich mir!‘
der Pfenning: ‘sag an schier,
wer bistu, das ich dir wichen sol?
Dins höhmůts ůberhůbstu mich wöl.
uff erden lebt nit min gelich.
mir dient gern arm und rich,
und kůng und kaißer erend mich.
wes ůber hebstu dich?
daß nimpt mich wunder von dir
daß du nit wilt wichen mir.‘
die Lieb sprach mit gůtter sit:
‘ich verste wöl daß du mich kennest nit,
doch will ich mich dir nennen:
Lieb bin ich. kanstu mich erkennen,
so wer es zwär gar laid dir,
din ůber niemen gen mir.
es ist mir geschehen nie. [...]'

Übersetzung
Vers 6–23

Es waren einmal die Liebe und der Pfennig.
Mutig sprach die Liebe: „Weiche mir!“
Der Pfennig antwortete: „Sag rasch an,
wer bist du, dass ich dir weichen soll?
In deinem Hochmut überhebst du dich über mich.
Auf Erden lebt nicht meinesgleichen.
Mir dienen sowohl die Armen als auch die Reichen,
und Könige und Kaiser verehren mich.
Warum überhebst du dich?
Es verwundert mich,
dass du mir nicht weichen willst.“
Die Liebe sprach gütig und mit Anstand:
„Ich verstehe gut, dass du mich nicht kennst.
Doch will ich mich dir vorstellen:
Die Liebe bin ich. Würdest du mich kennen,
so täte es dir wahrlich leid,
dass du dich mir gegenüber übernimmst.
Das ist mir noch nie geschehen.
Meine Macht währt, seitdem die Welt existiert,
und als es noch lange keinen Pfennig gab,
hatte ich Gewalt über alle Geschlechter. [...]"

Der elende Knabe: Minne und Pfennig
Vers 188-199

do stiesß der Pfenning mit gewalt
sie von dem steg in den bach.
do ich ellender knab daß sach,
ich erschrack und ylt schnell.
die frow růff mit stime hel:
‘hilff durch Göt, es ist zitt
daß ich des lebens wird gefryt!‘
ich tett es gern und lieff da hin
und erwischt die frowen Min.
sie was worden kranck und schwach,
und zöch sie kom uß dem bach,
daß sie lag als wer sie töd.

Übersetzung
Vers 188-199

Plötzlich stieß der Pfennig sie mit Gewalt
vom Steg in den Bach.
Als ich, der elende Knabe, das sah,
erschrak ich und eilte schnell.
Die Dame rief mit lauter Stimme:
„Hilfe durch Gott, es ist Zeit,
dass ich vom Leben erlöst werde.“
Ich tat es gerne und eilte schnell
und erwischte die Frau Minne.
Sie war krank und schwach,
und als ich sie kaum aus dem Bach gezogen hatte,
lag sie da, als wäre sie tot.

Ein Pfennig sieht rot

Im Text geht es um die Gegenüberstellung von Geld und Liebe, einem zählbaren, materiellen Wert und einer abstrakten Emotion.

Dabei treffen eine weibliche und eine männliche Personifikation aufeinander, bei der eine von beiden sogar handgreiflich wird. Während Frau Liebe sich höflich vorstellt und bittet, vorbeigelassen zu werden, ist der ihr körperlich überlegene Pfennig äußerst unhöflich. Er verspottet die Liebe, betont seine herausragende Stellung bei Herrschenden wie Geistlichen und stößt sie von einer Brücke hinab in einen Bach. Die personifizierte Liebe wird durch diesen Sturz schwer verletzt und fällt in Ohnmacht.

Analyse

Herr Pfennig und Frau Minne treffen sich auf einer Brücke. Aneinander vorbeizulaufen, ist nicht möglich, denn der Steg ist zu schmal. Ein Duell beginnt: Wer ist die einflussreichere Personifikation? Pfennig oder Liebe? Herr Pfennig spielt unfair und stößt Frau Minne nach kurzem Disput in den Bach. Sie kann vom Erzähler gerettet werden und führt die Lesenden in eine Wüste. Hier lebt sie mit anderen Frauen im Exil: Frau Weisheit, Frau Edelmut, Frau Gerechtigkeit, die allesamt vom Pfennig vertrieben wurden. Die Moral von der Geschicht? Geld herrscht, Liebe nicht. Jedoch nur auf den ersten Blick...

J. Hüwelmeier

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