Personifikationen

Die Tugend­kreuzigung

Liebe

Mit dieser Glasmalerei aus dem Kloster Wienhausen präsentiert sich eine recht ungewöhnliche Kreuzigungsszene: Christus wird nicht nur von Maria und Johannes begleitet, auch fünf personifizierte Tugenden sind anwesend. Gerechtigkeit und Friede setzen ihm die Dornenkrone auf, am Fuß des Kreuzes haben Barmherzigkeit und Wahrheit die Hände andächtig erhoben. Caritas jedoch, die christliche Liebe, umarmt den Gekreuzigten innig und stößt ihm zugleich einen Dolch in den Leib.

Ein Stich ins Herz

Die Tugendkreuzigung geht auf die christliche Mystik des 13. und 14. Jahrhunderts zurück, die in Frauenklöstern wie Wienhausen großen Anklang fand. Mit dem Dolchstoß durch die Caritas öffnet sich der Leib Christi und vergießt das unschuldige Blut, das die Menschheit von ihren Sünden reinwäscht, zugleich wird die Umarmung zum Symbol des Strebens nach der Minne Christi. Die Anordnung der Tugenden am Kreuz, wie sie in der Glasmalerei zu finden ist, geht auf den 84. Psalm der Vulgata zurück, der Misericordia (Barmherzigkeit) und Veritas (Wahrheit) sowie Iustitia (Gerechtigkeit) und Pax (Friede) zu Paaren zusammenstellt. Vor diesem Hintergrund bleiben die Tugenden in der Glasmalerei trotz ihrer grausamen Handlungen etwas Positives, Dornenkrönung und Dolchstoß sind vielmehr allegorisch zu verstehen: Christus besaß all die hier versammelten Tugenden und handelte nach ihnen, was schließlich zu seiner Kreuzigung führte. Dies wird in dem Motiv der Tugendkreuzigung gerade durch das Mittel der Personifikation besonders anschaulich, denn nur mit einem eigenen Körper kann Caritas auch den Leib Christi verletzen.

M. Gabriel
Caritas umarmt Christus und erdolcht diesen zugleich

„Du hast mein Herz verwundet, meine Schwester, meine Braut.“ So spricht das Ich im biblischen Hohelied 4,9 zu seiner Braut. Und wie die Sponsa, die Braut Christi, verwundet auch Caritas, die hier mit K geschrieben wird, den Leib Christi und ermöglicht so das christliche Erlösungsgeschehen. Die Umarmung zwischen ihr und Christus zeugt davon, dass der grausame Akt in der Nächstenliebe begründet ist.

Corpus Vitrearum Freiburg
Fotograf: Rafael Toussaint

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