Florian Mittelhammer

Kulturwissenschaftler und Kurator

Florian Mittelhammer ist seit 2023 Kurator der Tübinger Literaturmuseen. Mit dem Museum im Hölderlinturm möchte Mittelhammer einen Ort schaffen, den die Tübinger mitgestalten können, einen Erinnerungsort der Literaturgeschichte, aber auch einen Ort, an dem man Lyrik erfahren und selbst kreieren kann.

Bezug / Arbeitsfeld / Interessen

In welchem Zusammenhang arbeiten Sie über Fragen der Ästhetik / Kunst?

Als Museumsleiter eines kleinen Literaturmuseums arbeite ich daran, auch einer vermeintlich immateriellen Kunstform wie der Lyrik einen Raum zu geben, in dem man sie erleben kann und in dem sie über die persönliche Leseerfahrung hinausgeht: Wo man Lyrik auch hören kann, spüren kann, über sie sprechen kann, oder sie nicht nur rezipieren, sondern auch produzieren kann.

Was interessiert Sie dabei am meisten?

Was macht Sprache zur Kunst? Und wie kann es gelingen, diese Erfahrung in eine Ausstellung zu übersetzen? Aber auch: Wie bleibt Lyrik gesellschaftlich relevant?

Haben Sie ein ,Lieblingswerk‘? Warum gerade dieses?

Das wechselt, je nachdem mit welchem Werk ich mich gerade besonders auseinandersetze! Wenn ich eines nennen müsste, dann vielleicht Hölderlins Briefroman Hyperion.  Hier werden alle großen Fragen seiner und mitunter auch unserer Zeit verhandelt und sogar in eine einigermaßen konsistente Geschichte verpackt: Wie verhalten sich Mensch und Natur, Ideal und Wirklichkeit zueinander? Wie weit kann man gehen im Kampf für die Freiheit? Was ist Schönheit, was ist Liebe, was ist Freundschaft? Was bedeutet es, ein gutes Leben zu führen?

Kunst / Kunstbegriff / Kunstverständnis

Was macht Kunst aus?

Kunst muss uns etwas angehen, muss uns etwas zu sagen haben. Kunst fordert eine unbedingte Auseinandersetzung mit ihr ein und kann deshalb mit der ganzen Palette unserer Emotionen spielen.

Wie ,funktioniert‘ Kunst?

Es gibt Kunst, die irritiert, um eine Auseinandersetzung einzufordern, es gibt Kunst, die uns bestätigt. Es gibt Kunst, die sich verschließt und dadurch viele Fragen zurücklässt, und es gibt Kunst, die uns fraglos hinterlässt, in einer Erfahrung ihrer Evidenz.

Was leistet Kunst?

Kunst kann alles leisten, was auch ein gelingendes zwischenmenschliches Gespräch erreichen kann, aber mit ganz anderen, ihr eigenen Mitteln. Sie macht einen Perspektivwechsel überhaupt möglich, ermöglicht Verständigung, bringt Freude, Ablenkung oder das genaue Gegenteil davon.

Gesellschaft / Relevanz / Wissenschaft

Welche Rolle spielt Ästhetik / Kunst in unserer Gesellschaft?

Kunst fungiert häufig als Distinktionsmerkmal, mit dem sich bestimmte Milieus von anderen abgrenzen. Leider geht eine Hierarchisierung der Milieus Hand in Hand mit einer Hierarchisierung der Kunstformen. Ich beobachte aber ebenso, dass es dabei heute auch gegenläufige Entwicklungen gibt: Pop wird zur Hochkultur und Hochkultur wird zu Pop.

Welche Rolle sollte Ästhetik / Kunst in unserer Gesellschaft spielen?

Kunst kann und sollte sowohl eine persönliche Ausdrucksform wie ein gesellschaftliches Korrektiv sein. Sie kann Orte zwischenmenschlicher Begegnungen und Auseinandersetzungen schaffen.

Welche Rolle sollte die Wissenschaft in diesem Kontext spielen?

Wissenschaft kann hier Orientierung bieten, kann eine vertiefte Auseinandersetzung mit der Kunst erwirken, sofern sie auch in die Gesellschaft abstrahlt. Sie kann die Begegnung mit Kunst schulen, und vor allem das Wissen um ihre unzähligen Formen sammeln und bewahren.

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