Antonio Tempesta nach Otto van Veen, Julius Civilis lässt seine Haare schneiden

Kreative Aneignung

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Auf Blatt 20. des Batavorum cum Romanis Bellum ist ein germanisches Siegesritual dargestellt. Zu Beginn der Schilderung des Aufstands der Bataver:innen gegen die römische Herrschaft, ließ sich Julius Civilis, der Anführer der Revolte, nach Tacitus’ Erzählung die Haare wachsen (Tac. Hist. 4, 61). Entsprechend dem germanischen Brauch hätte er sich die Haare dann feierlich schneiden lassen, als das Gelöbnis von der Befreiung der Bataver:innen von der römischen Herrschaft erfüllt schien.

Im Hintergrund dieser Szene geschildert, ist der Anlass für den vorläufigen Triumph: das gebrandschatzte Legionslager Vetera, dessen Plünderung und Zerstörung einen Wendepunkt im Konflikt darstellte. Civilis thront im Vordergrund nach Art der Roma-Darstellung der Ara Pacis auf einem Haufen feindlicher Waffen. Vor ihm ist sein kleiner Sohn zu sehen, der mit Pfeil und Bogen auf römische Gefangene schießt, welche die Sebastian-Ikonographie variierend, an einen Baum gefesselt sind. In der Radierung manifestiert sich paradigmatisch der kreative Umgang mit etablierten Bildfindungen und Darstellungstraditionen, welcher die gesamte Serie charakterisiert: Antike und christliche Ikonographien werden rezipiert, um das ‚neue‘ Sujet des Bataver:innen-Aufstands nach Tacitus für den spanisch-niederländischen Konflikt visuell zu adaptieren. Die Darstellung Civilis nach Art der sieghaften Roma oder die römischen Gefangenen, die wie christliche Märtyrer präsentiert werden, generieren dabei signifikante semantische Verschiebungen. Indem sie die Temporalität und Wandelbarkeit des Sieges und der Niederlage zum Ausdruck bringen, reflektieren sie das Grundthema der Serie: die Notwendigkeit des Friedens.

Laura Di Carlo / Daniel R. F. Richter

Weiterführende Literatur

  • Di Carlo, Laura / Richter, Daniel. R. F.: Visuelle Aushandlungen des Friedens. Die kreative Aneignung der Antike in Otto van Veens Batavorum cum romanis Bellum, in: Laura Di Carlo / Johannes Lipps / Anna Pawlak / Daniel R.F. Richter (Hgg.): Andere Ästhetik meets andere Ästhetik. Visualisierungen von Antiken nördlich der Alpen in der frühneuzeitlichen Druckgraphik [in Vorbereitung].
  • Leuschner, Eckhard: Antonio Tempesta. Ein Bahnbrecher des römischen Barock und seine europäische Wirkung, Petersberg 2005 (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 26), S. 464–469.
  • Morford, Mark: „Theatrum hodiernae vitae“: Lipsius, Vaenius, and the Rebellion of Civilis, in: Karl Enenkel (Hg.): Recreating Ancient History. Episodes from Greek and Roman Past in the Arts and Literature of Early Modern Period, Leiden 2001, S. 57–74.